Werden Gitarren mit dem Alter "besser"?

Andy

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Nachdem ich mir in den letzten zwei oder drei Jahren die ein oder andere Gitarre gekauft hab,
muss ich feststellen, dass vom Sound her keine einzige an meine alte Hamer Chaparral heranreicht.

Ich stell mir die Frage, warum? Ich hielt das immer für Vodoo, dass ein Instrument mit dem Alter oder durch Alterung besser werden soll.
Gibt ja welche, die ihre Instrumente in eine Kammer hängen und dort beschallen lassen, in der Hoffnung das Holz würde sich einschwingen. Neuester Schrei scheint das Kryo-Zeugs zu sein, also die Gitarre mal langsam einfrieren und wieder auftaun.

Hab das mit dem "die alten Instrumente sind besser" eigentlich eher immer darauf zurückgeführt, dass früher dann halt besseres Material (länger abgelagertes oder damals noch verfügbares Holz) verwendet wurde oder nur die "Guten" überlebt haben und die schlechten halt doch verschürt oder mittlerweile vom Holzwurm gefressen wurden.

Ich kann mich aber auf der andren Seite daran erinnern, das mir die Hamer am Anfang nicht sonderlich gefallen hat. Viel zu dünn in den unteren Mitten, auch nach div. Pickupwechseln. Das hat sich aber irgendwie total geändert und ich muss sagen, ich bin überrascht.

Gibts da ähnliche Erfahrungen bei euch oder ist mir vielleicht nur mal ein Inbusschlüssel auf die richtige Stelle des Pickups geflogen :)
 
M

mrgodin

Guest
Hi Andy;

Las gerade Deinen Beitrag und dachte, schreib mal was ;-)

Nebenbei, das mit dem "Einschwingen" hat schon ne lange Tradition.
Jimmy Page sagt man nach, er habe früher aus diesem Grund extra seine (gerade unbenutzten) Instrumente beim spielen an seine Gitarrenboxen angelehnt,
um sie mit den von ihm erzeugten Frequenzen schwingen zu lassen.

Bei seinem genialen Sound hat's wohl gewirkt ;-)
Nee, Scherz; keine Ahnung.

Sachlich betrachtet ist, neben der akustischen, auch die elektrische Gitarre ein komplexes Schwingungssystem.
Und zwar von der Kopfplatte bis zum Korpusende inklusive aller verbauten Komponenten.

Wenn ich nun eine Saite in Schwingung versetze, gerät das gesamte System in Schwingung.
Daher beeinflussen die Mechaniken und ihre Beschaffenheit ebenso wie das verarbeitete Holz, ob lackiert oder ob nicht, von Korpus,Hals & Griffbrett, die Hals-Korpus-Verbindung oder Dinge wie Sattel,
Brücke etc. das Schwingungsverhalten der Saite.

Die Schwingung der Saite wiederum generiert (induziert in den Pickup) ja keinen reinen Sinuston (bzw. Sinusschwingung),
sondern eine Mischung verschiedener Schwingungen.
Nämlich, dem Herrn Fourier sei Dank, er hat's mit seiner Analytik erforscht, einen Grundton (Schwingung) und seine diversen, sogenannten Obertöne.
Diese Obertöne sind es, welche die Färbung eines Klangs bestimmen.
Sie werden u.a. zBsp. zusätzlich besonders verstärkt/abgeschwächt durch bestimmte Resonanzen (angeregte Resonanzfrequenzen) diverser Komponenten dieses Systems.

Der Tonabnehmer hat dann als Übergangselement von der Materialschwingung zum elektrischen Signal auch noch einen großen Einfluss, da seine Übertragungseigenschaften die mehr oder weniger starke "Weiterleitung"
bestimmter Frequenzanteile (Grundtöne & Obertöne) mit beeinflusst.

Soweit, so bekannt, denke ich.

Nun wird es aber interessant.
Änderst Du die verwendeten Saiten, Typ, Stärke etc., ändert sich, mehr oder weniger wahrnehmbar, der Ton.
Selbst saubere oder schmutzige Saiten verändern den Ton ja jeweils schon u.U. massiv.

Gleiches gilt aber auch, wenn Du andere Komponenten wie Mechaniken, Sattel, Brücke etc. änderst; sei es das Material oder auch auch zBsp. die Kerbung von Sattel oder Saitenreiter der Brücke.
Alles hat einen, zumeist auch hörbaren, Einfluss auf die Zusammensetzung der Schwingungen und somit auf den Klang.

Und nun kommt das Holz.
Auch wenn es im Zustand des verarbeitet seins nicht mehr "lebt", verändert es sich ständig (es "arbeitet").
Zum Einen durch sich verändernde Luftfeuchtigkeit und der daraus resultierenden Aufnahme oder Abgabe von Wassermolekülen.
Dann durch wechselnde Temperaturen.
Zum Anderen aber auch durch einen Alterungsprozess, der zBsp. mit einer Austrocknung, also dem Verlust von Bestandteilen wie Ölen, aber auch Wasser, einhergeht.
Teilweise verändert sich dadurch dauerhaft die Zellstruktur des Holzes.
Das wiederum hat einen Einfluss darauf, wieviel Feuchtigkeit (Wasser oder Öle, als Pflegemittel) das Holz noch aufnehmen kann.
Bei all dem gerade genannten entscheidet zusätzlich der Umstand, ob das jeweils betreffende Holz lackiert ist oder nicht, noch darüber, welche der genannten Faktoren in welchem Umfang wirksam werden.

Aber eben auch diese Fakten beeinflussen das Schwingungsverhalten und somit konsequenterweise auch den "Ton".

Was man am Ende davon hört, wie bereits oben angerissen, ist eine Frage der resultierenden und übertragenen Frequenzmischungen eines Tons.
Aber auch Instrumentenbauer bestätigen ja, man hört schon einiges an Veränderungen über die Jahre.
Gute Instrumentenbauer hören auch, ob man seine Stradivari jahrelang schlecht behandelt oder gelagert hat.

Dabei wird sich der Alterungsprozess des Holzes, um mal bei Deinem Thema zu bleiben, bei einer Violine oder akustischen Gitarre mit vielen
unlackierten Holzbestandteilen deutlich stärker im Ton bemerkbar machen, als bei einer komplett lackierten E-Gitarre mit lackiertem Hals.
Hier verändert sich das Holz zumindest nicht in so hohem Maße.

Was Du also bei Deiner Hamer hörst, kann entweder auf veränderte Komponenten, Alterung/Veränderug des Holzes, zBsp. dem unlackierten Hals oder Griffbrett,
oder einer (nicht zu vergessen) veränderten akustischen Wahrnehmung Deinerseits zurückzuführen sein ;-)

Ich weiss, was Du jetzt sagen möchtest: "Das beantwortet meine Frage also leider nicht erschöpfend, da zuviele variable Faktoren beteiligt sind".
Recht haste.

Ich bin ja auch ein Nerd, was Gitarren betrifft.
Mit wachsender Begeisterung tune ich meine Geräte solange, bis sie perfekt sind.
Da bedarf es oft aber nicht viel; einige meiner Les Pauls, die keine Bumble Bees als Ton-Kondensator haben, bekamen Orange Drops verpasst.
That's it. Machen genau das, was ich mag.
Oder die 690er-Serie PAFs aus einer '90 Standard raus und 1957er Classic eingebaut.
Passen perfekt zu allem Dumble, Matchless, Komet usw. Kram.
Oder ein Paar '54er Custom Shop PU in eine alte Strat.
Knopfler lässt grüßen.

Insofern kannste Dich damit trösten, dass auch ich mir einfach vorstelle, alle meine Schätzchen, z.T. bis zu 55 Jahre alt,
würden mit jedem Jahr noch besser ;-)
Aber auch ich höre gewisse Unterschiede (oder meine es zumindest).

Das ist eben der Balsam und das Lebenselexier eines Gitarristen.

Aber diese (Unterschiede) müsste man genau genommen, wenn man so "färbende" u. veränderbare Faktoren wie Verstärker, Boxen etc. herausrechnet, mindestens zum Teil auch im "trockenen" unverstärkten Zustand hören.
Ohne Amp und allem Anderen.

Habe übrigens den unschätzbaren Vorteil, eine Onkel zu haben, der Schreiner ist.
Da kann man sich das Thema Holz immer wieder mal gut beleuchten und erklären lassen.

Das war jetzt lang und nu iss spät, oder früh, je nach Blickrichtung.
Gut's Nächtle und bis später mal.
Mike
 
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Gitarrenschlumpf

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Diesen akustischen Alterungsprozess kann man übrigens auch in stark verkürzter Form nachbilden. Seit ca. 2 Jahren experimentiere ich mit Körperschallübertragern und habe etliche Gitarren damit eingeschwungen. Kein Voodoo - das geht wirklich.
 

zen

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War das Einschwingen nicht auch der Grund warum einige Gitaristen Ihre Gitarren auf Tour neben die Bühne gestellt haben, auch wenn Sie diese gar spielen wollten?
 

Hubi72

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Das ist eigentlich das erste, wenn ich ne E-Gitarre im Laden (kommt leider nur noch selten vor..) in die Hand nehm - ohne Amp anspielen und spüren erst mal, wie der Hals und der Korpus mitschwingt - d.h. ob das Holz überall mitschwingt und wie lange. Gerade das Thema Hals ist meiner Meinung nach unterbewertet.

Ich glaub aber auch, daß sich der Spieler im Lauf der Jahre auf die Gitarre und ihre Eigenschaften einstellt und durch Vibrato und Spielweise mehr "Ton" rauskitzelt.
z.B. hab ich auf meiner Les Paul auf jedem "fis" - egal welcher Bund eine Oktave, in die der Ton überschlägt. War am Anfang nicht so.

Beim Thema Hardware sag ich mal nix, nachdem ja auf der Strat z.B. die alten Blechwinkel am Vibrato anscheinend der urtypischste Strat darstellt - das war damals eigentlich nur Billig-Schnellbau. Auf der Les Paul mit Messing - Alu - Stahl sieht das wieder anders aus.
 

Andy

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@mrgodin, Mike. Besten Dank für dies ausführliche Beschreibung. Find ich wirklich sehr interessant und informativ! :thumpsup:

Wolfgang, richtig. Der Punkt, "ich spiel mit dem Ding seit zig Jahren und weiß exakt wie sie reagiert" ist auch so ein Thema wo ich mir gedacht hab, dass es auch daran (mit) liegen könnte.

Aber eine Sache ist bei der Hamer trotzdem erstaunlich und das hat sich im Laufe der Zeit geändert. Die drückt unten herum absolut extrem, so dass ich stellenweise wirklich sogar nen Hochpassfilter in die Kette hänge und klingt in den Mitten absolut prägnant. D.h. der Ton steht. Das war früher eindeutig nicht so, da klang sie deutlich undefinierter und dieses Undefinierte stell ich bei allen neueren, selbst wenn sie gebraucht sind, auch immer wieder fest. Bei Aufnahmen ist der Unterschied dann gar nicht mehr soooo groß aber wenn du live davor stehst ist der Unterschied stellenweise wirklich enorm. Die hat eindeutig "Body" bekommen.
 

tonindi

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Zu diesem Thema gab es in Gitarre & Bass Ausgabe 2012 ein tollen Bericht und das scheint zu stimmen. Es gibt sogar extra Geräte um die Gitarren mit bestimmten Frequenzen zu beschallen: Lrd Zep, ACDC oder was auch immer ... ein paar Tage beschallen und die Gitarre lebt wieder, wenn man sie länger nicht gespielt hat. Hier ist ein Teil des Berichts:
IMG_20150529_0001_NEW.jpg

LG Tony
 

zen

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Da frage ich mich, was 10min Motorhead oder Manowar für eine Gitarre bedeuten würden. Wahrscheinlich wäre die für die nächsten 20Jahre im eingeschwungenen Zustand. :biggrin:
 

tonindi

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Also 10 Minuten ist da wohl zu kurz - ich denke mindestens 48h dauerbeschallen...:pruust:
 

Gitarrenschlumpf

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Mindestens. Ich lass meine Klampfen 4-6 Tage am Stück laufen. Eine Les Paul war auch schon mal 2 Wochen dran und der Unterschied war danach echt beeindruckend. Musikmaterial nehme ich zur Beschallung der Gitarren allerdings nicht.
 

aalrh

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Was passiert, wenn man die Gitarre ausversehen oder absichtlich (weil es die vom Nachbarn ist) mit der falschen Musik beschallt?
Also z.B. Blasmusik von Ernst Mosch!
 

Gitarrenschlumpf

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Wenn der Schalldruck vom Nachbarn so hoch ist, dass sich die Gitarre schwingt (denn anders geht´s ja nicht), passiert der Gitarre nichts, aber der Nachbar fängt sich Ärger wegen falscher Musik ein .... oder du später ne Klage wegen Körperverletzung. :D
 

Hubi72

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Ist der Unterschied nach dem Einschwingen durch Musik oder sonstiges hörbar (Aufnahme) oder nur spürbar? An der Gitarre pur bemerkbar oder über Amp?
 

Gitarrenschlumpf

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Der Unterschied ist ohne Amp hör- und spürbar. Die Gitarre schwingt einfach stärker. Unverstärkt ist die Gitarre minimal lauter. Man spürt das ganz stark am Hals und auch am Korpus. Und das wirkt sich dann mit besserem Sustain auch auf den verstärkten Ton aus. Vorher "tote" Töne, die meiner Vermutung nach auf Auslöschungen basieren, sind dann meistens weg oder nicht mehr ganz so tot. Sind die "toten Töne" noch da, lag das immer an was anderem und wurde oft nachträglich behoben.
 

Andy

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Was passiert, wenn man die Gitarre ausversehen oder absichtlich (weil es die vom Nachbarn ist) mit der falschen Musik beschallt?
Also z.B. Blasmusik von Ernst Mosch!
Dann bleibt nur noch der Verkauf über ebay :) Das geht nicht mehr raus :)
 

aalrh

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Wenn man das aber verschweigt, ist das dann Betrug? :)
 

Andy

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Wenn man das aber verschweigt, ist das dann Betrug? :)
Das geht zumindest schon hart in die Richtung. Ausser man spielt dann Sachen von Wolfgang Petri. Dann passts wieder.

Ups, ich hoff, ich hab damit niemand persönlich beleidigt. Ist nur Spass. ;)
 

Friedlieb

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Ich hab das hinter mir und kann sagen, dass es funktioniert. Wer Interesse hat, kann meinen damaligen Bericht hier nachlesen, und wer danach noch Fragen hat, kann die gern hier stellen. Das Verfahren von Emil Weiss ist ziemlich ausgefeilt, vor ein paar Jahren stand auch mal was in der bekannten Fachzeitschrift Framus&Warwick, oder wie die heißt.
 
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