Interessanterweise finde ich, dass gerade bei Musik - und vermutlich bei vielen anderen Kunstformen mit hohem handwerklichen Anteil - der Schaffensprozess von KI nicht so weit vom menschlichen Schaffensprozess entfernt liegt.
Im Prinzip setzen Musiker auch nur Elemente zusammen, die mal geübt, transkribiert oder auf anderem Wege aufgenommen wurden. Fast alles bewegt sich im Korsett eines Harmonie- und Tonsystem, auf das sich unser westliches Ohr geeinigt hat und lässt sich analysieren - egal ob das Taylor Swift, die Beatles, Frank Zappa oder Jazz ist. Ließe es sich nicht analysieren und würde nicht bestimmten Regeln folgen, wäre es für 90% unhörbar- ganz abhängig von der Kultur. Einfache Musik hat 3 Akkorde im 4/4tel Takt - komplexe Musik besitzt dann halt mal keinen 4/4tel oder 3/4 Takt, kommt mit Modulationen oder Modal Interchange Akkorden - aber eigentlich war alles schon mehrfach da - und das bereits seit den 70ern. Filmkomponisten haben auch ganz konkrete harmonische Tools in der Schublade, um eine gewisse Stimmung zu erzeugen und natürlich kann das genauso formelhaft sein.
Es gab mal eine Doktor-Arbeit über Charlie Parker, mit dem Ergebnis, dass dieser im Kern ca. 40 Phrasen benutzt hatte, die er zum einen variert hat und mit einer erstaunlichen Flexibilität an jeder Stelle in jeder Tonart kombinieren konnte. Und auch mein Prof hatte damals gesagt: "Du kannst vergessen, dass ab einem gewissen Tempo noch "improvisiert" (in seiner reinen Wortbedeutung) wird." - klar, das ist alles eine unfassbare kognitive und kreative Leistung, die Jahrzehnte an harter Übung voraussetzt aber halt auf eine gewisse Art und Weise auch ein Setzkastenspiel - wie eben KI auch. Kunst braucht ja auch die "Überraschung im Vertrauten" damit es für den Hörer nachvollziehbar ist - und das gibt Regeln vor.
Dennoch denke ich, dass das Erlebnis der Live Musik, verbunden mit dem Risiko, dass etwas unerwartetes oder sogar Fehler passieren, immer eine Faszination ausüben wird. Insofern bin ich da enstpannt, aber ich bin auch nicht in der GEMA
Nun biste mir zuvor gekommen.
Exakt diesen Gedankengang hatte ich heute Mittag bereits fertig im Kopf!
Ich setzte allerdings etwas früher an.
Das Neugeborene, welches wir alle mal waren, kommt von den Erfahrungen im Mutterleib abgesehen, mit nahezu leerem Cortex auf die Welt.
Alles, danach beruht auf einem Schatz an Erfahrungen und angeeigentem Wissen und Fertigkeiten, die vor uns andere entwickelt, erfunden, entdeckt haben.
Genau der Punkt Harmoniesystem der Nordhalbkugel war eines meiner Beispiele.
Alle Musik, die wir gehört haben, bis wir angefangen haben, eigene Stücke zu komponieren, hat uns geprägt.
Wir reproduzieren immer wieder, ohne dass wir uns dessen oft bewusst sind, Fragmente von Licks, die wir bei unseren oft gehörten und geschätzten Kollegen gehört haben.
Der menschliche Geist ist psychologisch betrachtet zu einem erheblichen Teil eine einzige Reproduktionsmaschine.
Es gibt aber durchaus Ausnahmen. Es entstehen durchaus auch zuvor nicht existente Dinge.
Allerdings sind dann mindestens die Werkzeuge, das Harmoniesystem wäre ein solches, ein Teil der Grundlagen für den kreativen Schaffensprozess.
Ein neuronales Netz macht im Prinzip nichts anderes.
Es lernt durch die Trainingsdaten einerseits komplette Strukturen, andererseits aber auch, oder sogar nur, die Regeln und Anweisungen, um eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen.
AlphaZero, weil ich Schachspieler bin, ist ein Beispiel dafür, dass man einem NN lediglich die Regeln antrainiert, um es dann im Spiel gegen sich selbst weiterlernen zu lassen.
Den Erfolg konnte man ja dann später bewundern.
Das Problem bei der ganzen Geschichte ist, dass die Väter der KI ihm diesen Namen gegeben haben.
Der Name insinuiert, dass es sich um eine Form menschlicher Intelligenz handelt.
Der Witz ist, es ist wahrscheinlich bereits jetzt Intelligenz.
Allerdings ein andere Form als die, die dem Menschen zueigen ist.
In der Psychologie wird das Thema Intelligenz und Intelligenztests bis heute immer wieder diskutiert.
Im Laufe der Jahre sind neue Subformen hinzu gekommen.
Man misst bspw. soziale Intelligenz.
In den 1970igern waren Intelligenztestes noch bessere Tests daruf, ob jemand im Gymnasium oder der Uni gut aufgepasst hat.
Das ist heute anders.
Womit der Mensch sich immer wieder schwer tut, man kann das in allen öffentlichen Diskussionen zu diesem Thema beobachten,
ist die Fähigkeit und Bereitschaft zu akzeptieren, dass die menschliche Intelligenz nur eine mögliche Form von Intelligenz darstellt.
So wird in jeder Talkshow versucht, Vergleiche anzustellen und zu prognostizieren, ob und wann KI mal die Intelligenz des Menschen
erreicht oder gar übertrifft.
Das sind Nonesense Diskussionen.
Zum einen gibt es eh eine Menge Prozesse, bei denen uns die IT bereits seit langer Zeit überlegen ist, zum anderen versuchen
Diskutanten Vergleiche zwischen Objekten vorzunehmen, die sie nicht annähernd vollständig durchdrungen haben.
Um zu vergleichen, muss man aber die zu vergleichenden Dinge kennen.
Das trifft in den meisten Diskussionen aber weder auf Wissen aus der Hirnforschung, noch auf Kenntnisse über die Arbeitsweise
neuronaler Netzwerke zu.
In der Wissenschaft hat man bis heute keine Antworten darauf, trotz aller guter bildgebenden Verfahren und Untersuchungen,
WIE Denken entsteht, WIE Emotionen entstehen, WIE UND WARUM wir die Realität als Realität wahrnehmen.
Wir sehen im Gehirn, WAS da physiologisch passiert.
Wir erkennen aber nicht, wie Bewusstsein entsteht…
Und ich trage seit den 70igern die These in mir, dass die Naturprozesse es auch nicht zulassen werden, dass wir uns als Mensch
bewusst werden, warum wir so sind, wie wir sind.
Ich bin überzeugt, dass das Wissen, wie unsere Gehirn genau bis ins letzte Detail funktioniert, einen Menschen emotional
überfordern würde.
Auch hier gibt es übrigens eine schöne Analogie zu neuronalen Netzwerken.
Wie dort Entscheidungen entstehen, lässt sich im Nachhinein nicht nachvollziehen.
Die Entscheidung, das Ergebnis ist da; warum, das bleibt uns verborgen.
Vielleicht ist das virtuelle Neuron eine besondere Errungenschaft der Mathematik, weil es uns einerseits vielleicht nie ermöglicht,
das menschliche Hirn nachzubauen und exakt zu kopieren, dafür aber aufgrund der algorithmischen Grundlagen einen ähnlichen
Verarbeitungsprozess ermöglicht, wie das Gehirn; einen Prozess, dessen letzte Details in den Abläufen uns verborgen bleiben werden.