Ouvertüre und 1. Akt: (gestrichen) Wie werde ich schneller?

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Gelöschtes Mitglied 3249

Guest
Liebe Gemeinde,

vielleicht könnt ihr mir helfen.

An dieser Stelle hatte ich ungefähr 3800 Zeichen Vorgeschichte getippt und ich finde, die habe ich echt witzig geschrieben. Deswegen habe ich sie mir gespeichert, aber euch möchte ich so einen Roman nicht zumuten. Dafür einen anderen, weniger witzigen.

Kurz: In den letzten zehn Jahren hatte ich das Pech eines Glücks: Ich konnte vom Schreiben leben. Es gibt Schlimmeres (zum Beispiel: arbeiten in einer Würstchenfabrik), doch ich beklage es, weil es mich zu viel vom Musizieren abgehalten hat.

Glück ist natürlich ungenau. Glück ist, wenn Vorbereitung und Gelegenheit zusammentreffen. Also bereite ich mich jetzt auf ein anderes Glück vor, indem ich endlich wieder mehr Zeit in die Musik stecke. Viel Zeit.

Dieses Jahr habe ich das Üben gelernt. Als Teenager fiel mir das Gitarrespielen nämlich so leicht, dass ich das nie brauchte und meine Lehrer haben da auch nie drauf geachtet. Jetzt rächte sich diese Leichtigkeit und ich habe mir das Üben beigebracht. Dennoch stoße ich an Grenzen, bei deren Überwindung mir auch kein Lehrer der Region weiterhelfen kann. Oftmals einfach, weil sie mit dem Genre (Metal) keine Erfahrung haben. Und auf YouTube kommen an der Stelle entweder widersprüchliche Aussagen oder die Leier "Muss man einfach üben!" oder "Langsam üben und dann schneller werden. Und mit Metronom."

1. 16tel palm-mutes jenseits von 180bpm. Habe ich das richtig geschrieben? Ist das verständlich? Da beiße ich mir jedenfalls die Zähne dran aus. Es kommt natürlich auf den Kontext an, manchmal komme ich auf 190 oder 200, aber nehmen wir mal einen konkreten Song wie Blind Guardians wundervollen "I'm Alive", den ich mir zum Studium vorgenommen habe. Ich habe trotz aller Übekonsequenz Schwierigkeiten, den im Originaltempo sauber mitzuspielen. Die Parts kenne ich mittlerweile rückwärts auswendig. Es klappt weitgehend, ist aber grenzwertig. Auch, wenn ich die Nummer zum üben schneller als im Original spiele. Ich erwarte schon, dass ich das nach spätestens zwei Monaten auf dem Kasten habe. Schließlich poliere ich den Hobel nun auch schon über 25 Jahre.

2. Saitenwechsel bei 16tel-Noten jenseits rund 150, 160 bpm. Alternate picking ist bei diesem Tempo klar. Nehmen wir mal ganz primitiv chromatisch vier Töne auf einer Saite an, danach auf die nächst höhere, z.B. von der D- zur G-Saite, dann landet man nach der vierten Note immer auf der falschen Seite der Saite und muss erst über die D-Saite rüberspringen. Kriege ich nicht hin. Da ist irgendwann einfach Schluss. Im Moment hänge ich wieder bei rund 135bpm. Je nach Zahl der zugedrückten Ohren.

3. Ist eigentlich ein Anschluss an die erste Frage: Den reitenden Rhythmus von z.B. Iron Maiden kennt man ja, drei 16tel gefolgt von einer Pause. Kein Problem. Nun reitet aber zum Beispiel Jon Schaffer auch ein Pferd - aber ein viel schnelleres. Um im Bild zu bleiben: Wo findet man so ein Pferd?

(Zugegeben: Bei mir bahnt sich an beiden Händen ein Karpaltunnelsyndrom an und vor eineinhalb Jahren hatte ich beidseitig einen Tennisarm und bis heute werden jede Nacht beide Hände mehrfach absolut taub. (Fun Fact: Die Ursachen dafür liegen überhaupt gar nicht im Gitarrespielen.) Vielleicht habe ich beim nächsten Neurologen Glück.)

"Einfach üben" hilft mir bei diesen Hürden jedenfalls überhaupt nicht. Das ist aus meiner Sicht eine Frage der Spieltechnik und ich mutmaße, dass diese Technik ab einer bestimmten Geschwindigkeit einfach anders aussehen muss. Ein Pferd galoppiert ja auch ganz anders als es trabt.

Kann mir jemand von euch, dir ihr ja teils auch aus der Hartwurstfraktion kommt, da den einen oder andere Wink geben? Hilfreiche Videos? Noch besser: Ein hilfreicher Lehrer?

Ich könnte auch akzeptieren, wenn das eine Frage der Physiologie ist - ist beim Kraftsport ja nicht anders: Ist die Sehne nur zwei Millimeter weiter am Knochen angebracht als beim Mitbewerber, ist der Hebelweg halt ein anderer. Vielleicht bin ich für das Tempo nicht gemacht. Wäre ungünstig, weil ich gerade einen Song in 180bpm geschrieben habe. Aber so einfach akzeptiere ich keine Niederlage.
 
B

belphegor

Guest
Hi Felix.
Habe gerade nicht viel Zeit.
Nur soviel;
Wenn es medizinische Gründe gibt, die in Deinem Fall sogar beide Hände/Arme betreffen,
dann solltest Du Dir ernsthaft überlegen, was am Ende wichtiger ist:

Noten mit 500 bpm spielen zu können und dauerhafte gesundheitliche Probleme/
Einschränkungen/Spielunterbrechungen zu riskieren, oder

einen auf Dauer gesundheitlich vertretbaren Kompromiss zwischen Spielgeschwindigkeit/
Spielweise und gesundheitlicher Belastung/Einschränkung anzustreben!

Die medizinischen Probleme, die Du beschreibst, sind bei Musikern Teil des Bereichs
„Berufskrankheiten“ oder „berufsbedingte Krankheiten“!
Auch wenn in Deinem Fall ggf. die Musik nicht der Auslöser dieser Probleme sein sollte.

Ich hatte zufälligerweise vor knapp 2 Wochen an der rechten Hand/rechtem Arm ein ähnliches Problem.
Tennisarm/Sehnenscheidenentzündung/Knochenhautentzündung.
Ursache: Zuviel Arbeit am Rechner; dauerhafte Belastung der rechten Handwurzel durch
Mausbedienung.
Knapp 2 Wochen Schmerzen wie Hölle und alles nur noch mit links erledigen…
Informatikerkrankheit (Auflagepunkt und Reizung des Bereichs des Handwurzelknochens/
Handgelenkknochens/dauerhaft eingeschränkte Handhaltung).

Der Körper ist keine Maschine und gibt uns seine Grenzen vor.
Bestimmte Grenzen sollte man respektieren, auch wenn das heutzutage nicht sehr en vogue ist.
Sieh Dir an, wieviele Profigitarristen mittlerweile an der rechten Hand eine Manschette tragen!
Steve Morse zBsp., um mal einen zu nennen.

Nur mal so als gedankliche Anregung.
Schöne Feiertage und frohe Weihnachten!
🎸 🤟😎🤟 🎸
 

Andy

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Musikalisch kann ich leider keine Tipps geben. . Aber einschlafendr Finger können von der Halswirbelsäule kommen, Speziell dann wenn es nur zwei an einer Hand betrifft. Also Zeige- und Mittelfinger oder Ring- und kleinen Finger
 

Marcus Siepen

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Mit Blind Guardian kenne ich mich ganz gut aus, mit Jon und Iced Earth auch Zunächst aber schließe ich mich der Meinung an, daß deine Gesundheit wichtiger ist, als I'm Alive in unserem Tempo spielen zu können. Sei da echt vorsichtig, ansonsten kannst du irgendwann gar nicht spielen.
Was üben angeht: Auch wenn ich jetzt wahrscheinlich etwas wiederhole, was du woanders auch schon gehört hast, fang langsam an. Wenn du direkt in einem Tempo anfängst, daß du eigentlich nicht spielen kannst, dann gewöhnst du dir unsauberes Spielen an. Und das später wieder los zu werden ist nicht immer einfach. Wenn du I'm Alive z.b. bei 150 bpm sauber spielen kannst, dann spring von da nicht direkt auf 180 (oder wie schnell wir das auch immer gespielt haben, ich habe 188 im Hinterkopf, ist aber auch egal), sonder versuche es mit 155. Und wenn du das sauber (!!!) kannst, dann geh auf 160 usw. Das erfordert Disziplin und Geduld, aber so kommst du ans Ziel, Abkürzungen gibt es nicht wirklich. Was Saitenwechsel bei hohem Tempo angeht, schau dir mal "cracking the code" von Troy Grady an (crackingthecode.com glaube ich), schöner als er kann man das nicht erklären.

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aalrh

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Musikalisch kann ich leider keine Tipps geben. . Aber einschlafendr Finger können von der Halswirbelsäule kommen, Speziell dann wenn es nur zwei an einer Hand betrifft. Also Zeige- und Mittelfinger oder Ring- und kleinen Finger
Kann allgemein von der Wirbelsäule kommen. Ich kämpfe damit auch ständig. Auch wenn es meinem Rücken vermeintlich gut geht, ist das ein Zeichen, dass Hinten etwas nicht stimmt. Bei mir ist es mehr im Lendenwirbel-Bereich, wo gerne mal ein Wirbel nicht korrekt sitzt. Verspannungen habe ich dann am Steißbein oder Schulterblätter (so wie zur Zeit auch wieder). Spezielle Rückenübungen helfendas Problem zu minimieren. Auf Körperhaltung allgemein achten (egal ob im Stehen, Sitzen oder beim Spielen).
Kleiner Tip: Rehasport kann der Arzt verschreiben, ohne dass es auf sein Budget geht (50 EInhaiten, welche innerhal von ca. 18 Monaten genommern werden müssen/sollten = ca. 1x die Woche in die Rehasport-Gruppe). Hier lernst Du Übungen, welche auch zu Hause ganz leicht gemacht werdn können. Massagen und Physio sind auf Rezept eher schwierig zu bekommen. Und wenn möglichst am Anfang des Quartals versuchenes verschreiben zu lassen.
So, das waren meine pers. Erfahrungen aus dem Bereich Rückenmedizin. - Ups bin ja gar nicht im Orthopädie-Forum! :biggrin:
 

Andy

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Der Reha Sport ist aber eher etwas für Leute, die sich überhaupt nicht bewegen können. So zumindest hat mir das das Reha-Zentrum gesagt. Ausserdem hätte ich dafür arbeitslos sein müssen. 1,5 Jahre immer donnerstags im 11 Uhr 😂. Mir hilft ein flexi-bar seit Jahren über die Runden. Einfach mal Google bemühen. Ansonsten mal manuelle Therapie verschreiben lassen und mehr Sport machen.
Lendenwirbelsäule hab ich durch Radfahren mit Klickpedalen in den Griff bekommen. Scheinbar durch das Bein nach oben ziehen gegen den Widerstand. So nun genug zu Krankheiten....
 
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Gelöschtes Mitglied 3249

Guest
Moin und erstmal herzlichen Dank der Fürsorge. Was den Körper und Sport angeht, bin ich recht gut vorbelastet und fit. Mir sind die möglichen Ursachen bekannt und meine angeborene Skoliose fordert halt langsam doch ihren Tribut. Mein Nachbar ist Physiotherapeut (also der andere, nicht der Elektriker) im Ruhestand und freut sich, wenn er mir Schmerzen zufügen darf, ist aber in diesem Fall tatsächlich mal hilflos. Meine Schwägerin auch. Ich suche jetzt einen Neurologen, der mich nicht nach 23-sekündiger Untersuchung gleich aufschneiden will und alternativen Behandlungen aufgeschlossen ist.
Aus meinen Fehlern habe ich gelernt; die Situation damals war nicht zu vermeiden.

Und was ihr schreibt, ist mir völlig bewusst: Hände wachsen nicht auf Bäumen. Weiß ich. Dass ihr mir das noch einmal vorbetet, verdeutlicht es trotzdem. Danke.

Das Tempo als solches ist mir egal, Gitarrenakrobatik hat mich nie besonders angesprochen. Bei diesen Fragen ist ein Teil wissenschaftliches Interesse, ein Teil Herausforderung und ein (großer) Teil Erweiterung des musikalischen Horizonts.
Durch das wissenschaftliche Herangehen habe ich für mich herausgefunden, dass guter Schlaf mich spieltechnisch erheblich weiter bringt als viel üben. Ist auch klar und logisch, vergisst man aber auch schnell.

Die Herausforderung ist für mich (am Ende) mit dem Erfolgserlebnis verbunden, an dem ich mich erfreue (wenn vielleicht auch nur kurzfristig).

Viel wichtiger ist mir der Horizont, die Erweiterung der Spielgewohnheiten: Der genannte Song ist Teil meiner musikalischen DNA (dem kann ich ebensowenig entfliehen wie z.B. den Scorpions der frühen 80er). Der hat mich geprägt. Deswegen muss ich "solche Sachen" nachspielen, um diese Prägung in meiner eigenen Musik umzusetzen - sonst entwickele ich mich musikalisch nicht weiter. Mit Wollen hat das Musikmachen bei mir sowieso nichts zu tun. Ich muss. Wenn ich keine Musik mache bin ich ein unerträglicher, elender Miesepeter.

"cracking the code" von Troy Grady an (crackingthecode.com glaube ich), schöner als er kann man das nicht erklären.
Du liebe Güte. Warum bin ich über den noch nie gestolpert? Herzlichen Dank. Pickslanting hatte ich zwar immer wieder gesehen und ausprobiert, aber seine Demonstration haben meine Aufmerksamkeit auf ein kritisches Detail gelenkt.
 
G

Gelöschtes Mitglied 62

Guest
1. Idee: Wird dein Song schlechter, wenn du ihn auf ein Tempo umarbeitest, das du spielen kannst?

2. Idee (auch wenn‘s nach Jedi klingt): Wenn du das Nichterreichen von Zielen als Niederlage empfindest, ruiniert das die notwendige mentale Einstellung. Virtuose Höchstleistungen vollbringen Leute, die auf der einen Seite völlig focusiert auf das Spielen sind, die aber gleichzeitig innerlich so entspannt sind, dass sie alle unnötigen Muskelbewegungen weglassen können. Dazu braucht man kein Lehrvideo von M. A. Batio sondern eher ein Buch über ZEN o.ä.

Ich bekam einmal zwei Unterrichtsstunden bei einem Weltklassemusiker geschenkt, allerdings Klavier, übte vorher wie ein Verrückter und wollte von ihm ein paar Mörderstellen erklärt haben. Statt Technik zu fiseln, hat er mich in der Zeit über Körperarbeit dazu gebracht, ein so völlig entspanntes Körpergefühl beim Spielen zu entwickeln, dass ich richtig high davon wurde. Sein Credo: Je besser es sich für dich anfühlt und je mehr du es genießt, desto besser wirst du spielen können. Ein Krafteinsatz, der aus einer Entspannung herauskommt, entwickelt eine ganz andere Präzision und Geschwindigkeit. Ich habe von diesem Meister gelernt, dass Technikarbeit ohne gleichzeitige mentale und Körperarbeit nicht zum Ziel führt. Wie atmest du bei high speed? Normal, schneller, gar nicht? Bei den Cracks wird der Puls an heftigen Stellen eher langsamer, sie schalten auf Geschehen lassen um.

3. Idee: Hör auf dich mit Profis zu vergleichen, solange du keiner sein musst. Dann landest du wieder bei 2. und drehst dich im Kreis. Irgendwann kommt mal ein 12jähriges Teenie und spielt auf Youtube 16tel bei Tempo 320 bpm. Glaubst du John P. kriegt da ne Krise? Oder Markus Siepen? Glaub ich nicht.

Guter Ansatz: Gut schlafen und Stress rausnehmen. Aber lass das K-Syndrom behandeln, das wird nicht von selber wieder besser.
 
B

belphegor

Guest
1. Idee: Wird dein Song schlechter, wenn du ihn auf ein Tempo umarbeitest, das du spielen kannst?

2. Idee (auch wenn‘s nach Jedi klingt): Wenn du das Nichterreichen von Zielen als Niederlage empfindest, ruiniert das die notwendige mentale Einstellung. Virtuose Höchstleistungen vollbringen Leute, die auf der einen Seite völlig focusiert auf das Spielen sind, die aber gleichzeitig innerlich so entspannt sind, dass sie alle unnötigen Muskelbewegungen weglassen können. Dazu braucht man kein Lehrvideo von M. A. Batio sondern eher ein Buch über ZEN o.ä.

Ich bekam einmal zwei Unterrichtsstunden bei einem Weltklassemusiker geschenkt, allerdings Klavier, übte vorher wie ein Verrückter und wollte von ihm ein paar Mörderstellen erklärt haben. Statt Technik zu fiseln, hat er mich in der Zeit über Körperarbeit dazu gebracht, ein so völlig entspanntes Körpergefühl beim Spielen zu entwickeln, dass ich richtig high davon wurde. Sein Credo: Je besser es sich für dich anfühlt und je mehr du es genießt, desto besser wirst du spielen können. Ein Krafteinsatz, der aus einer Entspannung herauskommt, entwickelt eine ganz andere Präzision und Geschwindigkeit. Ich habe von diesem Meister gelernt, dass Technikarbeit ohne gleichzeitige mentale und Körperarbeit nicht zum Ziel führt. Wie atmest du bei high speed? Normal, schneller, gar nicht? Bei den Cracks wird der Puls an heftigen Stellen eher langsamer, sie schalten auf Geschehen lassen um.

3. Idee: Hör auf dich mit Profis zu vergleichen, solange du keiner sein musst. Dann landest du wieder bei 2. und drehst dich im Kreis. Irgendwann kommt mal ein 12jähriges Teenie und spielt auf Youtube 16tel bei Tempo 320 bpm. Glaubst du John P. kriegt da ne Krise? Oder Markus Siepen? Glaub ich nicht.

Guter Ansatz: Gut schlafen und Stress rausnehmen. Aber lass das K-Syndrom behandeln, das wird nicht von selber wieder besser.
Perfekt beschrieben! (y)

@Felix

Die ideale und maximale Leistungsfähigkeit in allem, auch beim Gitarre spielen ruft man in dem Moment ab,
in dem man "es" spielen lässt.

Keine Konzentration auf das, was man gerade machen möchte;
Kein Gedanke daran, was man genau diesem Moment erreichen oder vollbringen möchte;

Die Handlung vollzieht sich aus dem Unterbewussten heraus.
Es ist der Moment absoluter spielerischer Freiheit, weil man spielt, ohne den Vorsatz zu spielen.

Diesen Zustand resp. diese Fähigkeit erreicht man dadurch, dass man zum einen solange übt,
bis das Geübte verinnerlicht ist und automatisiert abgerufen werden kann,
zum anderen indem man lernt, Spannung und Entspannung sich reziprok zueinander entwickeln zu lassen.
Je anspruchsvoller, belastender und intensiver die Arbeitsanforderung ist, desto mehr müssen Körper und Geist sich entspannen.

ZEN, Autogenes Training und Meditation sind übrigens wertvolle Hilfen und Werkzeuge in diesem Falle.
Psychologisch betrachtet kann man sich hier auch des Kniffs der Dissoziation bedienen.
Insbesondere bei Auftritten und Musikern, die mit Lampenfieber u.ä. zu kämpfen haben, ist das sehr hilfreich.
Dies ist aber nicht mit einer dissoziativen Störung zu verwechseln!
Man kann Dissoziation gezielt als Technik einsetzen.

Die wichtigen Hinweise zum Thema Üben hat Marcus Siepen bereits erläutert.
Es sind die bewährten Methoden, abseits von optimierten Finger-, Pick-, Fingersatz- und Handhaltungstechniken.

1. Spiele immer nur in der Geschwindigkeit, die Du beherrschen kannst!
Nur dann bleibt Deine Technik sauber und korrekt.
Nur dann hört sich das Ergebnis gut an.
Einmal erlernte fehlerhafte Technik braucht ein mehrfaches der Zeit des Aneignens, sie wieder zu korrigieren.

2. Deine Spieltechnik ist wie der Muskel eines Sportlers; trainiere sie durch maßvolle und kontinuierliche Steigerung.
Erst wenn ein angestrebtes Leistungsniveau erreicht ist, wird das nächst höhere in Angriff genommen.

3. Jeder Mensch/Musiker hat Grenzen der individuellen Leistungsfähigkeit!
Nicht weil er zu dumm oder unfähig ist, sondern weil unser Körper und unser Geist nicht grenzenlos
steigerbar in ihrer Leistungsfähigkeit sind.

4. Sei geduldig und gebe Deinem Körper und Deinem Geist ZEIT!
Rom wurde nicht in einem Tag erbaut...
Kein Gitarrist wurde mit den Fähigkeiten, die er aktuell aufzuweisen hat, geboren...
Musikalisches Können muss reifen, wie ein guter Wein...

5. Das Tempo nimmt im Bereich der Gitarrenmusik einen viel zu hohen Stellenwert ein.
Ein Gitarrist, der besonders schnell zu spielen versteht, ist nicht implizit auch ein guter Gitarrist.

6. Allzu häufig wird bei Gitarristen auch nicht ausreichend differenziert zwischen der Innen- und Aussensicht.
Die Innensicht ist die, dass ich mich als Gitarrist umso besser empfinde, je schneller ich spielen kann.
Die Aussensicht ist die des Zuhörers.
Diese weicht in vielen Fällen mehr oder minder deutlich von meiner Selbstwahrnehmung ab!

Zitat:
"Deswegen muss ich "solche Sachen" nachspielen, um diese Prägung in meiner eigenen Musik umzusetzen -
sonst entwickele ich mich musikalisch nicht weiter."

Diesen Satz würde ich im Sinne des zuvor geschriebenen einmal gründlich überdenken!
Musikalische Entwicklung im speziellen ist niemals abhängig davon, ob man etwas Bestimmtes nachspielt.
Es kann einen inspirieren, Sachen nachzuspielen.
Es kann einem zu technischer Weiterentwicklung verhelfen, Sachen nachzuspielen.
Es kann einen auch ÜBERFORDERN, Sachen nachzuspielen.
Aber musikalische Entwicklung ist etwas viel weitreichenderes!!!

Ich persönlich habe eine Menge gitarristischer "Vorbilder" und "Leitmotive".
Deren Spielweise und Stile sind alle im Laufe von Jahrzehnten in mein eigenes Spiel in der einen
oder anderen Weise eingeflossen.
So, wie bei Generationen von Gitarristen vor mir auch.

Was ich IMMER vermieden habe ist, diese Vorbilder ZU KOPIEREN.
Der Grund hierfür ist sehr einfach erklärt:
Ich möchte klingen, wie ICH bin!
Ich möchte, dass Zuhörer sagen, der klingt, wie Mike eben klingt.

Meinen Bezug zu meinen gitarristischen Vorbildern und Leitmotiven erzeuge ich vielmehr dadurch,
dass Elementarteilchen dessen, was sie spielen und spielten in meinem eigenen Spiel weiterleben...
Ich beziehe mein Selbstwertgefühl ausschließlich daraus, dass ich meinen eigenen Stil und meine
eigenen Fähigkeiten so gut wie möglich präsentiere.

Mir gefallen die "alten" und ursprünglichen Skorpions ebenfalls; ebenso wie zBsp. UFO.
Aber ich käme niemals auf die Idee, meine persönliche Entwicklung abhängig davon zu machen,
ob ich deren Stücke 1zu1 nachspielen kann!
Das halte ich für eine völlig falsche Zielsetzung.

Es gäbe noch viel zu schreiben, aber es soll hiermit genug sein.

Vielleicht wäre es ein guter Ansatz, sich zunächst einmal mit der theoretischen Sicht auf Deine
Ansprüche an Deine Entwicklung auseinanderzusetzen.
Selbstverständlich möchte Dich hier niemand davon abhalten, Deine Ansprüche an Dich selbst
immer höher zu schrauben.
Dann wäre es allerdings empfehlenswert, ein hohes Maß an Toleranz gegenüber Rückschlägen
zu entwickeln.
Ansonsten wird das auf die Dauer eher ein (allzuoft aussichtsloser) K(r)ampf gegen sich selbst ;-)

In diesem Sinne, nochmals Frohes Fäscht!
Und denke daran...
Es ist NUR ein (Gitarren)Spiel!

Mike
 

Solyth

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Kurz noch 2 Aspekte:
  1. Die Ergonomie der verwendeten Gitarre(n) macht eine Menge....Halsprofil, Mensur und Korpusform können echte Belastung machen....
  2. über eine Hamburger Band ist mal in einer Plattenkritik geschrieben worden
"... die überwiegend im Deathmetal-Hasenficktempo gespielten Songs....."
-ich glaub´ die Jungs nimmt keiner mehr ernst.......:bounce::biggrin::bounce:
 

Marcus Siepen

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1. Idee: Wird dein Song schlechter, wenn du ihn auf ein Tempo umarbeitest, das du spielen kannst?

2. Idee (auch wenn‘s nach Jedi klingt): Wenn du das Nichterreichen von Zielen als Niederlage empfindest, ruiniert das die notwendige mentale Einstellung. Virtuose Höchstleistungen vollbringen Leute, die auf der einen Seite völlig focusiert auf das Spielen sind, die aber gleichzeitig innerlich so entspannt sind, dass sie alle unnötigen Muskelbewegungen weglassen können. Dazu braucht man kein Lehrvideo von M. A. Batio sondern eher ein Buch über ZEN o.ä.

Ich bekam einmal zwei Unterrichtsstunden bei einem Weltklassemusiker geschenkt, allerdings Klavier, übte vorher wie ein Verrückter und wollte von ihm ein paar Mörderstellen erklärt haben. Statt Technik zu fiseln, hat er mich in der Zeit über Körperarbeit dazu gebracht, ein so völlig entspanntes Körpergefühl beim Spielen zu entwickeln, dass ich richtig high davon wurde. Sein Credo: Je besser es sich für dich anfühlt und je mehr du es genießt, desto besser wirst du spielen können. Ein Krafteinsatz, der aus einer Entspannung herauskommt, entwickelt eine ganz andere Präzision und Geschwindigkeit. Ich habe von diesem Meister gelernt, dass Technikarbeit ohne gleichzeitige mentale und Körperarbeit nicht zum Ziel führt. Wie atmest du bei high speed? Normal, schneller, gar nicht? Bei den Cracks wird der Puls an heftigen Stellen eher langsamer, sie schalten auf Geschehen lassen um.

3. Idee: Hör auf dich mit Profis zu vergleichen, solange du keiner sein musst. Dann landest du wieder bei 2. und drehst dich im Kreis. Irgendwann kommt mal ein 12jähriges Teenie und spielt auf Youtube 16tel bei Tempo 320 bpm. Glaubst du John P. kriegt da ne Krise? Oder Markus Siepen? Glaub ich nicht.

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Hast du eine Ahnung was ich bei den "Tempo-Kids" auf YouTube für eine Kriese bekomme Allerdings nicht, weil sie schneller spielen können als ich, sondern weil der Hummelflug bei 1200000 bpm absolut nichts mit Musik machen zu tun hat

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Marcus Siepen

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Verkrampft wird man nie sein volles Potential ausspielen können, das sehe ich auch so. Wenn du an ein Lied oder einen bestimmten Part schon mit der Panik "oh Scheiße, gleich kommt die Stelle, die ich eigentlich gar nicht spielen kann" ran gehst, dann hast du schon verloren. Optimal ist, wenn du gar nicht darüber nachdenken musst, was du da gerade spielst, wenn deine Hände alleine wissen, was sie zu tun haben. Das ist für mich (und nicht nur für mich) DER essenzielle Punkt bei jeder Tour Vorbereitung, ich trainiere meinen "Autopiloten", so dass ich am Ende während eines Gigs zu keiner Sekunde darüber nachdenke, was ich da eigentlich gerade spiele, das passiert automatisch. Witzigerweise war da gerade I'm Alive immer schwierig, weil ich da immer wieder aus den High Speed Riffs in die akustik Parts wechseln muss, was mich zum einen aus dem Speed Metal Feeling raus holt und ich zum anderen auch gleichzeitig Sounds wechseln und Backings singen muss. Auf der letzten Tour hat da dann mein Tech für mich die Sounds gewechselt und auf einmal war es viel einfacher, da ich darüber nicht mehr nachdenken musste.

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axifist

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Erstmal vorweg: Geiles Thema, hammer Beiträge!!! Fettes Lob und fetten Dank an alle 🤘


Ich kann den Punkt des "Autopiloten" aus eigener Erfahrung unterstützen:

Bei mir in der Band funktioniert mein Autopilot wunderbar. Sogar so gut, dass ich mich gelangweilt fühle. Vor einigen Jahren war das auch schon so, weshalb ich ein Experiment startete. Wir spielen auf Drop H. Eines Tages bekam ich einen Satz richtig fetter Saiten geschenkt. Damals spielte ich eine Bariton. Hab die drauf gemacht, konnte aber nicht guten Gewissens unsere normale Stimmung einstellen, weil ich echt Schiss hatte, die Gitarre kaputt zu machen. Daher nahm ich das zum Anlass, stimmte sie in einer offenen Stimmung und richtig tief (wie genau, weiß ich nicht mehr). Hab so dann alle Songs neu eingeübt. Hat extrem viel Spaß gemacht, hab da auch dann viel geübt, weil ein Auftritt anstand. Ich konnte die Songs in der neuen Stimmung in- und auswendig. Beim Gig passierte es dann aber: Ich begann, den Autopiloten aus- und mein Hirn einzuschalten, weil wir auf nen Part zugelaufen sind, der mir irgendwie dann doch entfallen war. Natürlich habe ich ihn dann komplett verbockt! Da meine Mitmusiker sich sehr stark an mich hängen und auf mich verlassen, wären wir fast alle rausgeflogen. Und auch so, mein Spiel war eher holprig, für meine Ansprüche extrem unsauber, ...

Heute denke ich darüber so: Langeweile beim Spielen ist etwas Gutes! Sie öffnet einem Möglichkeiten, z. B. Interaktion mit den Publikum, den Mitmusikern und auch, mehr aus der Gitarre rauszuholen. Geschwindigkeitserhöhung wäre da ein Aspekt, aber in diesem Fall irrelevant, weil die Songs ja bereits das richtige Tempo haben. Man kann aber an Feinheiten arbeiten, am Ausdruck, an der Dynamik, ...
 

kozmik

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Das hilft zwar nicht weiter, aber ich denke das hängt auch ganz arg davon ab, wie man anfängt und zu was man gleich zu Beginn übt und wie man das Plektrum hält. Das hat so einen extremen Einfluss darauf, was einem später leicht fällt und was nicht. Ich bin quasi mit den ersten Iced Earth-Sachen groß geworden. Als ich das Riff im Mittelteil des gleichnamigen Songs gehört habe, dachte ich das wäre Hexerei. Ich hatte aber noch nicht lange gespielt und dann wahrscheinlich unbewusst alles auf diese Spieltechnik optimiert, sodass mir das in Fleisch und Blut überging.

Bei Riffs in der hohen Geschwindigkeit ist es immens wichtig, dass das alles effizient und brutal sauber gezockt wird. Ich habe viele Gitarristen bei mir zum Aufnehmen, die das live seit Jahren machen und im Studio sind sie dann entsetzt, wie schlecht und untight das klingt. Das A und O ist das Abdämpfen und der Winkel in dem man die Saite anschlägt. Aufgrund der Plektrumhaltung macht es das für viele unmöglich, bei so schnellem Stakkatokram überhaupt vernünftig zu dämpfen. Man lebt also mit dem Problem, oder muss nach 25 Jahren zocken seine Technik komplett ändern, was natürlich nicht gerade ne Sache von drei Minuten ist.

Für mich war es übrigens dann das Problem, dass ich aufgrund meiner "tighten" Anschlagtechnik unheimliche Probleme bei schnellen Läufen hatte und bei manchen Saitenwechseln (Petrucci nannte das "inside the strings") hat es ständig gehakt. Gleiches Problem beim Sweeping. Ich musste also lernen, mein Plektrum anders zu halten, damit das irgendwann ging und selbst heute ließe sich da noch einiges verbessern und optimieren.

Was bei mir dann gar nicht ging, war Economy Picking. Meine rechte Hand ist so auf schnelles picken trainiert, dass ich ihr bis heute nicht mitteilen kann, dass sie hier und da ne Pause machen soll, um effizienter zu sein. Ich mache mir also bis heute das Leben schwer und picke auch viele Sachen, die mit Legato wesentlich angenehmer laufen würden :D
 

aalrh

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Erstmal vorweg: Geiles Thema, hammer Beiträge!!! Fettes Lob und fetten Dank an alle 🤘
Da schließe ich mich voll an!!!

....... Sogar so gut, dass ich mich gelangweilt fühle. ........ , z. B. Interaktion mit den Publikum, ....
Das finde ich pers. doch das schöne am Musizieren vor Publikum. Wenn ich nicht unbedingt beweisen muss, mit 180 Bünde/sec. über das Griffbrett zu jagen. Einfache 3-Akkorde-Riffs sind auch geil (was der Musiker ggf. als "langweilig" versteht), wenn das Publikum mitgeht. Und die faulen Säcke|innen tauen oftmals erst auf, wenn DU auf der Bühne nicht auf das Griffbrett, sondern dem Publikum direkt ins Auge blickst und sie so animierst aus sich rauszugehen. Dann entwickelt so ein Gig ein Dynamik, die unbeschreibbar ist.
Wer sich auf der Bühne also als gelangweilt fühlt, hat wohl seine Hausaufgaben erledigt, aber die Mitarbeit im Unterricht wäre "ungenügend" - setzen 6.
 
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Gelöschtes Mitglied 3249

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Moin,
und danke für die Beiträge. Allerdings habt ihr mir recht weit oben etwas angedichtet, was nicht da ist:

"Wenn du das Nichterreichen von Zielen als Niederlage empfindest, ruiniert das die notwendige mentale Einstellung."

Das ist wahrscheinlich ein Umkehrschluss aus meinem Erfolgserlebnis bei Erreichen des Ziels. Diser Umkehrschluss gilt bei mir nicht.

Ich vermute, die anderen Mitschreiber hier (noch einmal: Danke!) haben das dann als Ausgangspunkt genommen und dass ihr jetzt den Rest eures Jahresbudgets an Buchstaben aus diesem Anlass aufbraucht, ist mir ein Bisschen unangenehm.

Auch die Zen-Sachen usw sind alles Dinge, die ich seit rund zehn Jahren im Alltag praktiziere. Als Autor in der Schreibkammer oben im Turm hat sich das mir aufgedrängt. Erstaunlich viel darüber habe ich zum Beispiel im Gesangsunterricht gelernt, wo ja die Psychologie wohl stärker als bei jedem "externen" Instrument hineingrätscht. Meine Lehrerin hat u.a. anfangs immer wieder betont, dass wir diese Dinge üben, damit ich dann beim Singen eben nicht darüber nachdenke, also Übung und Performance strikt getrennt.

Als Buchtipp würde ich an der Stelle "The Art of Practicing" von Madeleine Bruser empfehlen.

Insofern hätte ich meinen urrpünglichen Roman vielleicht doch besser stehenlassen sollen.

Keine Sorge, es ist alles gut und ich hänge nicht jeden Nachmittag verkrampt mit verweinten Augen über meiner Gitarrre. Wenn ich mir eure Beiträge so durchlese freut mich, dass wir offenbar auch in allem einer Meinung sind, inklusive der Highspeed-Freaks (die, so scheint mir, oft zugleich auch Bodybuilder sind und vermutlich zu einem großen Teil die Sorte Mensch ist, die auf steigende Zahlen abfährt).

1. Idee: Wird dein Song schlechter, wenn du ihn auf ein Tempo umarbeitest, das du spielen kannst?
Ja. Leider. Da sind vielleicht 2-3% Spielraum, an denen ich drehen kann - alles darüber macht einen anderen Song daraus. Für mich gilt das ausnahmslos in der Musik. Ein Song hat genau ein Tempo mit einem mehr oder weniger kleinen Spielraum. Sad but True bricht zum Beispiel komplett zusammen, wenn man den ein wenig schneller dreht und ich finde, auch bei Beethovens Klaviersonaten sieht das nicht anders aus.

3. Idee: Hör auf dich mit Profis zu vergleichen, solange du keiner sein musst. Dann landest du wieder bei 2. und drehst dich im Kreis. Irgendwann kommt mal ein 12jähriges Teenie und spielt auf Youtube 16tel bei Tempo 320 bpm. Glaubst du John P. kriegt da ne Krise? Oder Markus Siepen? Glaub ich nicht.
Falls das noch immer nicht klar ist: Es geht nicht um Vergleiche, sondern schlichtweg um Praxis. Der Fleiß solcher Leute beeindruckt mich zwar, selten jedoch die Ergebnisse - die meisten dieser Gitarristen geben mir rein gar nichts, da bewegte mich ein Malcolm Young erheblich mehr. Ich bin ich und ich habe andere Stärken. Aber: Wenn ich etwas spielen möchte, muss ich nunmal etwas dafür tun.

Zitat:
"Deswegen muss ich "solche Sachen" nachspielen, um diese Prägung in meiner eigenen Musik umzusetzen -
sonst entwickele ich mich musikalisch nicht weiter."

Diesen Satz würde ich im Sinne des zuvor geschriebenen einmal gründlich überdenken!
Musikalische Entwicklung im speziellen ist niemals abhängig davon, ob man etwas Bestimmtes nachspielt.
Es kann einen inspirieren, Sachen nachzuspielen.
Es kann einem zu technischer Weiterentwicklung verhelfen, Sachen nachzuspielen.
Es kann einen auch ÜBERFORDERN, Sachen nachzuspielen.
Aber musikalische Entwicklung ist etwas viel weitreichenderes!!!
Wenn wir schon so viele Buchstaben beschäftigen, und das so kurz vor Weihnachten, dann diskutieren wir das gerne aus:

Natürlich reicht musikalische Entwicklung weiter als nur das Nachspielen von Songs. Wobei mir schon oft vorgeworfen wurde, ich würde ja nie bekannte Songs spielen. Das stimmt. Ich spiele in der Regel gar keine Songs nach; ich habe praktisch null fremdes Repertoire, weil ich die ganze Zeit mit meinen eigenen Nummern beschäftigt bin - Selbstschreiben finde ich viel spannender als Nachspielen.

Und ein wesentlicher Teil meiner musikalischen Entwicklung findet im Kopf statt, ich habe einen Klasse Lehrer für Komposition, Harmonielehre und Satz, der mir regelmäßig das Hirn frittiert.

Allerdings habe ich auch Gewohnheiten. Hat man halt. Und wenn ich bei diesen Gewohnheiten bleibe, kommen auch nur gewohnte Dinge dabei heraus. Das ist völlig ok, wenn man AC/DC heißt und damit glücklich ist. Angus Young hat ja mal einen Journalisten einen schmutzigen Lügner genannt, weil er der Band vorgeworfen hat, zwölfmal das gleiche Album aufgenommen zu haben. Und hat ihn direkt im Anschluss mit einem Augenzzwinkern korrigiert: Es waren nämlich dreizehn.

Das Musizieren ist für mich eine ganzheitliche Angelegenheit. Dazu gehört also jeder Bestandteil meines Lebens. Und nur, wenn ich etwas neues ausprobiere, kommt ein neues Element in mein Leben, das wiederum in meiner Musik landet.

Und ganz am Ende, auch als der größte Zen-Meister mit aller Gelassenheit und allem Wissen um Harmonielehre, kommt man um die Praxis nicht herum. Wenn ich etwas Schnelles spielen möchte, muss ich etwas Schnelles spielen. Und das muss man üben. Und dafür braucht man Technik und den entscheidenden Hinweis hat Marcus mir dankenswerter Weise da oben gegeben. Ja, man kann zu viel üben und der Grenznutzen ist schnell erreicht. Aber man muss eben doch üben. Und zwar die richtige Technik.

Ich finde den Song geil. Ich will ihn nicht wirklich nachspielen um ihn spielen zu können, aber ich möchte dieses Element in meine Werkzeugkiste aufnehmen. Dafür hilft, wenn ich das Werkzeug zu nutzen lerne. Klar, ein paar bpm zu wenig wären dann nicht so schlimm. Nur bin ich bei diesen Studien eben an eine (meine bisherige) Grenze gestoßen und dann habe ich mich gefragt, ob und wie ich die wohl überwinden kann. Das hat nichts zu tun mit Stolz oder Selbstwert, nicht einmal mit Ehrgeiz - ich muss niemandem etwas beweisen, auch mir selbst nicht - sondern einfach mit Neugier und dem oben schon genannten wissenschaftlichen Interesse.

Vielleicht landet mein nächstes Album trotzdem wieder bei durchschnittlich 117bpm. Weiß der Geier. Und ich weiß als allerletzter, woher meine Ideen kommen und wohin sie mich führen. Aber meine musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten sollen nicht stagnieren, sondern sich stets entwickeln. Grenzen ausloten. Auch das ist kein wirklich aktiver Wunsch, sondern ein Drang, den ich nicht unterdrücken kann.

Verkrampft wird man nie sein volles Potential ausspielen können, das sehe ich auch so. Wenn du an ein Lied oder einen bestimmten Part schon mit der Panik "oh Scheiße, gleich kommt die Stelle, die ich eigentlich gar nicht spielen kann" ran gehst, dann hast du schon verloren.
Aber das vermeidest du doch nicht, indem du es einfach nicht übst. Oder? Oder? Oder hast du etwa gerade dein Geheimnis preisgegeben?
 

Andy

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Mein Geheimnis liegt darin mich ca 45 Minuten mit Übungen warm zu spielen, nur fehlt mir da meist die Zeit dafür
 

Marcus Siepen

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Lol, unser Motto war seit 1985 immer "ohne Proben ganz nach oben", jetzt ist unser Geheimnis raus Und wir proben tatsächlich vor einer Welttour 2x, aber wir bereiten uns natürlich vorher individuell entsprechend vor, so dass alles perfekt sitzt, wenn wir uns treffen. Die beiden Proben sind dann wirklich nur Finetuning und ein bisschen eingrooven, außerdem experimentieren wir mit der Setlist, da wir im Schnitt 2,5 Stunden spielen, aber knapp 50 Songs vorbereiten, um die Setlist jeden Abend zu variieren.
Aber zum Thema: du wirst natürlich nicht schneller, wenn du nur langsam spielst, um schneller zu werden musst du auch schneller spielen. Aber du solltest darauf achten, erst mal in einem Tempo zu üben, in dem du fehlerfrei spielen kannst. Ansonsten trainierst du nicht dein Tempo, sondern du trainierst Fehler. Unser Gehirn lernt dann nämlich nicht nur, die Finger entsprechend schnell zu bewegen, es lernt eben auch die falschen (weil unsauberen und nicht synchronen) Bewegungen. Und die wird man nur sehr schwer wieder los. Deshalb ist es nicht gut, solche Sachen direkt auf vollem Tempo zu üben, wenn man dieses Tempo noch nicht beherrscht.

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