Das Original ist Dogma??

Winfried

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>>Frage an den Fender-Erfahrenen:
Mit welcher Cab klingt der Vibro denn am "echtesten"?<<


Hi Hubi!
Gar nicht so leicht, hier "die richtige" Antwort zu finden. Der 63er Brownface Vibroverb wurde mit 2 x 10'' Speakern von Jensen oder Oxford gebaut. Also im Original gar nicht für einen so besonders offenen Klang - eher noch der Tweed-Generation verbunden. Darauf beruht denn auch der Fractal - Vibrato-Verb-Mix. Mitte der 60er verbaute Fender dann neben Jensen auch sehr gerne JBL 12'', z.B. im White Tolex Showman mit Oxblood Grill. So einen habe ich mal im Originalzustand (sogar noch mit den damaligen Werksröhren) spielen dürfen: klang schon klarer und differenzierter als ein Brownface, mit einer wunderbar, leicht singenden Endstufensättigung. Richtig HiFi und ultraclean wurde es dann bei Fender ab Mitte der 60er mit der Blackface Reihe. Das entsprach auch dem damaligen Zeitgeschmack der Country-, Surf- und frühen Beatmusik. "In echt" spiele ich noch heute den 65er Twin Reverb mit 2 Jensen C12N - allerdings nicht mehr auf der Bühne. Aber z.B. als Referenz beim Tweaken der Blackface-Modelle im fxII in meinem Keller-Studio.

Und genau hier beginnen dann auch die persönlichen Geschmacksfragen.

Ein alter Original-Fender-Amp hat keinen Masterregler, keinen Drive-Knopf und schon gar keine advanced parameter - noch nicht mal eine Aux return Buchse, durch die man einen externen Röhrenverzerrer direkt auf die Endstufe legen könnte. Den "damage control womanizer" ( übrigens auch bei Jaques und Suzzi gekauft, als die noch hier in Köln residierten) muss ich in den 1. Gitarreneingang (normal) geben und millimeterweise am Volumenpoti drehen, sonst fliegen einem die Ohren weg. Wenn alles gelingt gibts dann mit einer hochwertigen Strat oder Tele nichts besseres, als diesen glockenklaren Fender-Sound. Aber eben auch nur diesen einen wirklich guten Sound - wenn das Abnahme-Micro richtig steht und während der Show nicht vom angeheiterten Bassisten in Spiellaune "verrückt" wird.

Also zurück zum Axe: Da ich genau wie Du in einer Coverband spiele und viele verschiedene Sounds treffsicher und schnell auf der Bühne brauche, stecke ich die Arbeit heute lieber in genaue Vorbereitung. Ich programmiere ganz "old school" zwei Ketten: die erste mit Cab für FOH und mit einem in den Gesamtmix der Band eingebetteten Klangbild. Dazu höre ich über die tatsächliche PA der Band ab. Die zweite Kette ist - ganz nach Handbuch in Friedliebs vorzüglicher Übersetzung - nur der Amp (ohne Cab) mit allen Effekten über fxloop in output 2. Von dort in meine Mesa-Boogie-Endstufe zu 2 Celestion G12H Speakern im VOX-Cabinett. Das ergibt meinen Bühnensound mit dem nötigen Druck und Wohlfühlelement, ohne die Bandkollegen dabei dauerhaft zu nerven. Der Mischklang aus beiden Ketten kommt so dem Publikum zu Gehör. Über 500 Zuhörer dominiert dann natürlich die PA.

Bei der Klangabstimmung der 1. Kette ist für mich bei Cab-Wahl der "echteste Klang des Originals" daher gar nicht so wichtig, sondern es muss im Gesamtbild des Klangs passen. Das ist beim Virboverb nunmal für mich zufällig das 2x10'' Mix-Cab von Fractal. Wenn für Dich das 1x12'' Ownhammer Cab besser klingt, nehme ich das gerne als Anregung, dies am Dienstag mal selbst zu probieren. Ich finde jeder Dogmatismus ist der Tod der Kreativität.
 

Hubi72

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Das sind viele tolle Infos, Winfried!
Als nur mit Marshall/Diezel erfahrener hab ich null Plan, wie denn so ein Fendercombo klingt - und deßhalb auch unerfahren in Bewertung - ob es nach Fender klingt oder nicht.
Kann mich da nur an CD-Aufnahmen orientieren, wo ich weiß, daß Fendersounds dabei sind. Daher auch meine Wahl für die OW 1x12 Fane - mit meiner G&LStrat (Pickups mit Höhenpik) klingt das dann am ausgewogensten.

Die Frage nach dem "echtesten" Klang ist dann soweit mehr als Versuch zu verstehen, als Mann ohne Amps - nur mit dem Axe - die Amps zu verstehen.......

Vielen Dank!
 

georgyporgy

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Somit wäre an Hand eines sehr schönen Beispiels gezeigt, dass es nunmal reine allgemeingültige Referenz geben kann.

Super Beitrag.:thumpsup:

LG Jörg
 

Winfried

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Ja, ohne „echte“ Referenzklänge kommt man wohl auch mit dem FxII auf der Suche nach der Wahrheit nicht leicht weiter. Cliff und seine Mannschaft haben m. E. gerade bei den Fender-Modellen bisher ausgezeichnete Arbeit geleistet. So kommen die meisten Amps im fxII schon in den Defaults ihrem Original sehr nahe. Aber man sollte bei aller Begeisterung nicht vergessen, dass man sich immer noch in einer virtuellen Welt des Modellings befindet – auch wenn der digitale Klon kaum noch vom Original zu unterscheiden ist.
Es gibt nämlich auch Ausnahmen: So wurde im FxII z.B. der bis dato im Grundsound lupenreine Doubleverb ca. ab fw 10 mit der Einführung der MIMIC immer rauer im Klang. Nun mag es sein, dass man beim digitalen Vermessen hier einen besonders ruppigen alten Kameraden erwischt hat, dessen Altersunarten jetzt besonders hervortraten. Das hat sich auch mit dem Einfügen des noch letzten fehlenden Kondensators bei den Blackfaces jetzt in fw 14.02 leider nicht gebessert. Aber zum Glück kann ja jeder selbst durch den Wechsel von „authentic“ zu „Ideal/Smooth“, durch Drive- und SAG-Reduktion und notfalls durch das Abschalten des gesamten MIMIC-Gedöns hier korrigierend eingreifen. Allerdings die Gefahr, dass man sich dabei auch völlig vergaloppieren kann, kennt sicher jeder Echsenfreund.
Besser ist es also schon, nicht das Axe zur allgemeingültigen Norm zu erheben, sondern die Originale zu kennen. Ich gehe dazu am liebsten in die Musikgeschäfte meines Vertrauens und probiere die Amps (wenigstens deren Reissues) selbst aus. Oder ich merke mir spezielle Klangeigenschaften des Equipments mir wichtiger Künstler bei deren Konzerten Und ich halte es wie Hubi und orientiere mich an CD-Aufnahmen, wo ich genau weiß, wer da welche Gitarre an welchem Amp spielt. Dabei muss man allerdings mögliche Manipulationen des Sounds in der Mischung und beim Mastering mit bedenken.

Man kann’s auch auf Youtube probieren. Aber die unzähligen Selbstdarsteller dort taugen m.E. oft schon wegen mangelnder Aufnahmequalitäten nicht viel als Referenzklang - auch wenn da einige exzellente Gitarrenspieler dabei sind.

Außerhalb der Amp-Block-Specifics im Axe Fx II Wiki gibt es unter folgendem Link ein sehr schönes Kompendium der technischen Funktionen und Daten der wichtigsten Amp-Klassiker: http://www.ampwares.com/?s=vintage+fender+amp+guide


Und als Referenzklang für Fender Amps kann ich Hubi und allen „Fender-Unerfahrenen“ zunächst mal die Videos auf den Fenderseiten selbst empfehlen: http://www.fender.com/amps/
Die aktuelle Fender-Produktpalette, bei der heute leider die Reissues der Brownfaces fehlen, spiegelt ja vom 40erJahre Champ über die von Clapton bevorzugten 50ties Tweeds bis zu den 60er Black- und Silverfaces der 70er und dem heutigem Vibroking oder Tonemaster mehr als 60 Jahre Musikgeschichte wider. Und davon sind die meisten ja auch zum Glück in der Echse.

Übrigens: das Ownhammer 1x12 Fane Cab habe ich in meinem Vibroverb Preset eben ausprobiert. Das wäre evtl. mal was für’s Recording. Aber über unsere Band-PA klingt mir das zu höhenlastig. Da bin ich jetzt ganz zum etwas vintagemäßigeren Klang des Fractal 1x12 Vibro-Mix zurückgekehrt. Die alten IR’s sind manchmal doch besser für die Live-Anwendung.
Aber Hubis Tipp mit dem „Class A Tom Mix right“ für den AC 30 war Gold wert. Den hätte ich sonst wohl übersehen.
Danke dafür und Grüße aus Köln! Wir sehen uns in der Bundesliga.
 
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