Charakterfrage - Amp-Charakter - was ist das? Eine Einführung

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Pacosipulami

Guest
Analog zu meinem Klangregelungsthread, der irgendwann mal fortgeführt werden wird (momentan fehlt mir gerade die Inspiration dazu), hier eine kleine Einführung in ein schwieriges Terrain......



Teil 1: Der Ton aus den Fingern und was damit eigentlich gemeint ist...

"Ton kommt aus den Fingern" - oft gelesen, oft geschrieben. Ist an dieser Redewendung nun wirklich etwas dran? Grundsätzlich kann Ton nicht aus den Fingern kommen (sonst könnte man sich den Finger doch direkt ins Ohr stecken - wieso noch die Gitarre? :very_drunk:) - gemeint oder umschrieben wird damit die Persönlichkeit eines Spielers, welche formt was wir allgemein als "Sound" verstehen wenn wir von Sound sprechen.
Was aber eigentlich gar nichts mit dem Charakter eines Amps zu tun hat - oft werden dabei Beispiele von Künstler herbeigezogen um diesen Soundcharakter besser beschreiben zu können was dann eben oft zurück zum "Ton aus den Fingern" führt - und auf den Soundcharakter gar nicht weiter eingegangen wird. Mit "Ton aus den Fingern" wurde schon manche Diskussion festgefahren, bevor sie überhaupt richtig geführt wurde.

Dennoch ist der "Ton aus den Fingern" nicht absurd - doch dabei geht es eher darum was der Spieler aus seinem Spiel macht - ob er sich seiner Persönlichkeit beim Spielen bewusst ist und sie spielt. Für mich steht und fällt alles mit der Rhythmik, der inneren Uhr des Spielers, die man (so fern man das bei sich selber gut reflektieren versteht) fühlt, wenn jemand spielt - Dabei ist die Artikulation besonders von Interesse. Art des Anschlages, Anschlagsdynamik, Haltephase, Finger-Vibrato, Abdämpfen etc. - alles passt dazu. Damit vervollständigt man das Klangbild, was bei vielen Hörer schon dazu führt, dass sie das Gehörte ganz abseits vom Soundcharakter mögen und popularisiert damit auch einmal mehr die Aussage "Ton kommt aus den Fingern".

Wieso dann überhaupt Amp-Charakter? Nun ja...wir leben ja nicht mehr 1941 wo Charlie Christian seine ES-150 in seinem EH-150 Amp gestöpselt hat - das soll den guten Charlie ja nicht diskreditieren - aber die tonale Vielfalt der elektrischen Gitarre ist in den letzten 70 Jahren explodiert - wir haben so viele verschiedene Konzepte um eine Saitenschwingung über einem magnetischen Tonabnehmer laut zu machen.

Eigentlich ist die Erklärung recht simpel - jede Spieler-Persönlichkeit hat einen anderen Ansatz, seine Details auszuarbeiten, die ihn einzigartig machen. Nicht jedes Verstärkungskonzept ist dazu gleichermassen gut geeignet. Zudem fällt ein Spieler in eine Wechselwirkung Namens "Inspiration", sofern ihm die Umsetzung seiner Persönlichkeit in der Selbstreflektion alle tonalen Grenzen sprengen zu scheint - das Verstärkungskonzept nicht nur sein Spiel transportiert, sondern auch die eigene Wahrnehmung aus den gesetzten Grenzen befreit.

Es geht gleich weiter mit (leicht technischen aber gut erklärten) Details zum Thema "Amp-Charakter" ...mampf, mampf - gluckgluckgluck....muss sein! :angel:

:blah:
 
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Friedlieb

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So ist das, Paco. Spieler und das restliche Equipment gehören unverrückbar zusammen, wenn es um die Bildung des Gesamtsounds geht.

Zur Verdeutlichung hier noch eine kleine Anekdote, die ich dereinst in einem Gitarrenspielerblättchen las: Der Erzähler traf mal bei irgend einem Jam einen gewissen Raimund Salg, der mal bei den Rodgau Monotones gespielt hat. Weil der Raimund so einen geilen Zerrsound hatte, wollte der Typ auch mal über sein Geraffel spielen, also bekam er die Gitarre in die Hand gedrückt. Und dann nach den ersten Tönen: "Hey, schöner Clean-Sound, aber mach mir doch mal die Zerre an, die Du eben hattest." Herr Salg daraufhin: "Das *ist* der Sound, den ich eben hatte. Du musst nur fester reinhauen".

:eek:
 
P

Pacosipulami

Guest
Teil 2: Es lebt - aber wo?

Eigentlich ist das noch kein zweiter Teil - da nur ganz kurz angerissen.

Was tut eigentlich ein Verstärker? Bei der elektrischen Gitarre schwingt eine Stahlsaite über einem magnetischen Tonabnehmer und induziert an der Spule dieses Tonabnehmers eine kleine Spannung. Diese Spannung gilt es es zu verstärken und zu wandeln, bis sie am Ende bei unserem Ohr in Form von Schallwellen ankommt und von unserem Gehirn wieder in elektrische Impulse zurückverwandeln und unserem Verstand beibringen "Sound" zu sein.

Ein Verstärker verstärkt und wandelt das elektrische Signal der Gitarre. Der Einfachheit halber und auch um es am AxeFx zu erklären, teile ich den Verstärkerprozess in drei Abschnitte auf.
Vorstufe, Endstufe, Lautsprecher.
Eine Vorstufe verstärkt und formt, eine Endstufe verstärkt und wandelt Spannung in Strom (beim Röhrenverstärker tut das auch der Ausgangsübertrager) und ein Lautsprecher wandelt diesen Strom in mechanische Energie und bewegt damit Luft.
Das ist die Kurzform aller Verstärker, egal welcher Hersteller.

Das AxeFx 1Gen hatte vor allem die beiden letzten Abschnitte sowie die Interaktion der beiden intus - Endstufe und Lautsprecher. Der Lautsprecher hat sicherlich den grössten hörbaren Einfluss auf den Klang eines Verstärkers und die Interaktion des Lautsprechers mit der Endstufe ist ein ganz wichtiger Punkt wie ein Gitarrenverstärker funktioniert.
Dabei aber oft im Hintergrund - die Vorstufe!

Dabei passiert da ganz viel mehr als man in vielen Ecken und Enden des Internets zu lesen bekommt. Schön zu sehen, dass das AxeFx II diesen Aspekt detaillierter ausgearbeitet hat und bei den Advanced Parametern u.a plötzlich die V2 Röhre (in einer Schaltung oft die dritte und vierte Gainstufe) eine Rolle spielt bzw. einige der daran beschalteten Komponenten verändert werden können. Triode Hardness ist ein weiterer sehr interessanter Parameter, oder auch Preamp Bias, oder B+ Time Const. (was natürlich auf den ganzen Prozess wirkt) Auch wird ja nun zwischen Vor- und Endstufe unterschieden, wenn von den Hi- und Low Cut Filtern die Rede ist. Input Trim ist nicht der Ersatz für das regelbare analoge "Frontend" beim AxeFx Gen1 (und darf auch nicht als das verstanden werden...).

Vor einigen Monaten hatte ich einen Kunden bei mir in der Werkstatt. Der brachte mir einen ENGL Special Edition zur Rep und wollte danach auch gleich EL34 Röhren eingebaut haben, da er sich davon einen wesentlich britischeren Sound versprach. Reparatur erledigt, Röhren eingebaut - kurzer Abgleich und Kontrolle. Kunde spielt und wirkt enttäuscht - nicht wegen der Rep, der Sound entsprach nicht seinem Wunsch nach mehr "Agressivität" - klar, gut ausgefahren hat sich der Charakter leicht verändert - aber so richtig Tag und Nacht wurde es nicht. Ich hab dem Kunden angeboten eine andere Röhre in V1 Position einzubauen.
Der Unterschied war gewaltig.
Ein Amp Techniker oder Spezialist wird nun sagen - "klar, weiss ich doch". Andere werden sagen, "sorry Pacosipulami, Du hast doch keinen Plan, natürlich ist alles ganz anders oder dazu gehört viel mehr etc.". Alles blablabla. Klar gehört da noch viel mehr dazu......geht ja auch gar nicht darum.
Es geht darum was man sich unter Ampcharakter vorstellt und "wo" der genau entstehen soll? Die Meinungen sind da nämlich oft bereits gemacht, bevor ein Ton gespielt wird. EL84 - Class A aka Brian May, Vox-Sound etc. - EL34 gleich "British Voice", Marshall, Agressiv, 6L6 = amerikanisch und rund.

Doch so einfach ist das nicht.....

Teil 3 wird zum Teil 2.5 - da geht es dann um's Eingemachte. Unter welchen Bedingungen Vorstufen "Sound" machen und formen, so wie um eine Einführung wie das im AxeFx interpretiert wird....

Gruss & Huba!
Pacosipulami
 
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Andy

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Hi Paco, sehr schön. Ich freu mich schon auf Teil 2.5 und die folgenden :)
 
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